Von Petuschki nach Kitzen oder wie

Gut 50 Besucher kam auf die Kulturhausterrasse

Von Moskau nach Kitzen oder von Kitzen nach Petuschki oder wo sind wir oder wohin fahren wir. Manch einem der gut 50 Besucher des Sommertheaters auf der Terrasse des Kitzener Kulturhauses am 23. Juli schwirrte wohl der Kopf. Schließlich war sich selbst der Hauptakteur nicht klar, wo er sich befand. Der Schauspieler Kay Liemann aus Leipzig kam mit dem Ein-Personen-Stück „Die Reise nach Petuschki“ nach Kitzen. Was heißt aber Ein-Personen-Stück. Er hatte Unterstützung, musikalische Begleitung von Philipp Rücker, der Klarinette, Saxophon und Flöte mitgebracht hatte und auch ein schauspielerisches Kabinettstück in der Rolle eines trunken Schaffners ablieferte, der die Strafe für nicht vorhandene Fahrkarten in Gramm Alkohol kassierte.

Kay Liemann alias Wenja Jerofejew

Wenedikt „Wenja“ Jerofejew will vom Kursker Bahnhof in Moskau zu seiner Geliebten ins zwei Zugstunden entfernte Petuschki fahren. Sein Reisegepäck: ein Köfferchen voll Wodka. Im zunehmenden Rausch reflektiert er sein Leben im Sozialismus der Sowjetunion der 1960er Jahre. Ob das nun zwangsläufig in den Alkoholismus führen musste, das sei einmal dahingestellt. Aber weiß man etwas um die Person des Autors, der eben Wenedikt Jerofejew (1938 – 1990) ist, der wegen seines nicht dem Sozialismus angepassten Verhaltens keinen Fuß in der sowjetischen Gesellschaft fassen konnte, ahnt man zumindest, warum Leben, speziell seins, im Alkoholismus enden kann.

Philipp Rücker

So urkomisch Wenjas Monologe im Rausch sind, so traurig sind sie. Die gesanglichen Zwischenstücke heiterten allerdings immer wieder auf. Ob es des zusätzlichen Wodka-Ausschanks bedurft hätte, darf jeder für sich selbst entscheiden.

Im Laufe des Stücks, das eigentlich ein Roman oder nach russischer Interpretation ein Poem ist, wird immer unklarer, wo sich Wenja gerade befindet: in Petuschki, auf einer Unterwegsstation, schon wieder in Moskau. Oder ist gar nicht erst losgefahren vom Kursker Bahnhof. Genauso wenig klar ist am Ende des Stücks, ob er wirklich oder nur in seiner Alkoholfantasie gemeuchelt wird, ob sich lediglich sein Bewusstsein für immer verabschiedet. In Kitzen war er jedenfalls, das haben gut 50 Zeugen gesehen.

Das Publikum wurde mit einbezogen.

Jerofejews Buch erschien übrigens in den 1970er Jahren erstmals in Israel und in einer französischen Ausgabe. In der Sowjetunion wurde es laut Wikipedia erstmals 1988 gedruckt.

Kay Liemann, der aufgrund seines Alters den real existierenden Sozialismus der DDR oder der Sowjetunion nicht erlebt hat, fand den Stoff dennoch faszinierend. „Mein Professor hat mir das Buch geschenkt und ich war sofort begeistert“, sagte er nach der Veranstaltung. Ob es allen Gästen des Abends ebenso ging? Die einen sagen so, die anderen sagen so.