Das „F“ hängt

Heike Ronniger, Carolin Fischer, Enrico Wirth (v.r.) beim Auftritt in Sankt Nikolai.

Wenn es gut gemacht ist, dann darf es im Kabarett auch gern einmal unter die Gürtellinie gehen. Zum Beispiel dann, wenn gefragt wird, was denn ein Spiegeleierbauch sei. Wer am 30. April beim kabarettistischen Auftritt von Carolin Fischer, Heike Ronniger und Enrico Wirth beim Kultursonntag des Fördervereins für die Kirche Sank Nikolai Kitzen dabei war, weiß jetzt Bescheid. Wer nicht dabei war und auch die Antwort nicht kennt, der muss wohl oder übel jetzt Google bemühen. Es ließe sich zwar auch erklären, aber das macht keinen Spaß.

Ein volles Haus gab es beim Kabarettauftritt.

Definitiv haben er oder sie, die nicht dabei waren, eine Menge verpasst, abgesehen davon, dass eigentlich gar keine Besucherinnen und Besucher mehr in die Kirche gepasst haben. 158 zahlende Gäste waren dabei, mehr geht nicht. Schon in weiser Voraussicht waren zusätzliche Stühle aus dem Kulturhaus geholt worden. Letztlich wurden noch Sitzgelegenheiten aus dem Gemeindesaal herbeigeschafft, damit keiner vor der Tür stehen bleiben musste.

Heike Ronniger

Die drei vom Kabarett haben eines gemeinsam. Allesamt haben sie eine Vergangenheit beim Leipziger Kabarett „Academixer“. Was wohl letztlich die Anziehungskraft ausgemacht hat, zumal man gutes Kabarett nicht alle Tage für 15 Euro Eintritt zu sehen und zu hören bekommt. Fischer, Ronniger und Wirth gehen seit geraumer Zeit gemeinsam auf Tour. „Wir verstehen uns als neues Kabarett“, sagte Carolin Fischer. Name? „Die drei lustigen Vier“, setzte sie auf die Frage hinzu.  

Carolin Fischer alias Yussuf

Es ging eigentlich um alles wie Fitness-Training für Bauch, Beine und Po, Kochen ohne Kalorien. Ebenso vergnüglich war Carolin Fischers Auftritt als Handwerker Yussuf von Yussuf&Yussuf GbR. „Es gibt zwar nur einen Yussuf, aber Yussuf&Yussuf GbR klingt besser“, sagte Yussuf.

Das F hängt.

Und so jagte dann zwei Stunden lang ein Zwerchfellangriff den anderen. Zum Beispiel bei der Sache mit der Schreibmaschine. „Das F hängt, was kann man da machen?“ fragte Fischer. Und Ronniger wundert sich über das Gerät, das keinen Monitor hat und keinen USB-Anschluss oder eine Enter-Taste. Sie solle sich doch einen neuen Computer kaufen, weil man damit doch so viele Dinge machen kann.  Aber Fischer bügelt alles ab mit den Worte: „Das brauche ich nicht, ich habe doch meine Schreibmaschine.“ Auch wenn das F hängt.

Enrico Wirth

Und wenn die beiden Damen zwischen ihren Wortschwallen und urkomischen Mimiken Atempause brauchten, sprang Enrico Wirth in die Bresche. Aber nicht als Überbrückungsmusiker sondern mit hintergründigen kabarettistischen Liedern. Köstlich jenes vom Ehepaar, das nach dem Urlaub in Bulgarien im Taxi vom Flughafen nach Hause fährt. Der Taxifahrer erzählt von eigenen Urlaubserlebnissen und immer wieder fragt sie: „Was er gerade gesagt hat.“ Zunehmend genervt wiederholt ihr Mann. Schließlich heißt es im Liedtext, dass der Taxifahrer sagt, in Sofia habe er einmal mit einer Frau schlechten Geschlechtsverkehr gehabt. „Was hat er gesagt?“ fragt sie wieder. Und so gar nicht genervt sagt ihr Mann: „Er sprach gerade von dir!“.

Wie gesagt, ein wenig unter die Gürtellinie darf es schon mal gehen, wenn es gut gemacht ist. Fischer, Ronniger, Wirth haben es einfach mal richtig gut gemacht.

950 Jahre und ein Schritt zurück

Carsten Iwan bei seinem Vortrag im gut besuchten Saal des Kitzener Kulturhauses.

In diesem Jahr feiert Kitzen den 950. Jahrestag seiner urkundlichen Ersterwähnung. Pegauer Mönche haben aufgeschrieben, dass Wiprecht von Groitzsch (1050 bis 1124), der um 1070 aus der Altmark in die hiesige Gegend kam, 1073 mit den Adligen der Umgebung in verschiedene Händel verwickelt war. Unter ihnen wird Fridericus de Cutze erwähnt, der erste bekannte Gutsbesitzer von Kitzen. Wiprecht soll ihn 1073 in Zeitz getötet haben.

So weit, so gut. Aber wie alt ist Kitzen wirklich? Die Frage konnte auch Hobbyhistoriker Carsten Iwan in seinem Vortrag am 26. März 2023, der den Auftakt für die Kultursonntage des Jahrgangs 2023 des Fördervereins der Kirche Sank Nikolai bildete, im gut besuchten Saal des Kitzener Kulturhauses nicht präzise beantworten. Was jedoch weder den Vortragenden noch seine Zuhörer verwunderte. Auch wenn Iwan seinen Ausführungen den Titel gab: „950 Jahre Kitzen – Wie alles begann“; die Datenlage für jene Zeit ist eben dürftig. Aber die zugänglichen Quellen lassen laut ihm den Schluss zu, dass eine Siedlung auf dem Gebiet des heutigen Kitzens womöglich schon 500 Jahre früher bestanden haben könnte. Denn die Sorben haben die Gegend bereits um das Jahr 500 besiedelt. Auf deren Aktivitäten geht der Bau einer Fluchtburg zurück, die nach der derzeitigen Annahme auf dem Areal des heutigen Gutsparkes gestanden haben soll.

Lage der Fluchtburg auf dem Gebiet des heutigen Gutsparkes.

Wann genau sich dies zugetragen hat, ist aber ungewiss, weil eben Aufzeichnungen fehlen und es lediglich aufgrund archäologischer Funde klar ist, dass Sorben in der Gegend gesiedelt haben. Einen Hinweis auf das heutige Kitzen gibt es dabei bislang nicht. Lediglich ist man sich unter Historikern einig, dass der Name auf einen sorbischen Begriff zurückgeht, der laut Iwan so viel wie geschützte Burg bedeutet haben soll.

Bekannt sei zudem, dass um das Jahr 950 sächsisch-fränkische Adlige auf Geheiß Ottos I. in unsere hiesige Gegend kamen. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass zu dieser Zeit eine Siedlung entstanden ist. Aber, so räumt Carsten Iwan ein, es bleibt vieles Kaffeesatzleserei für die Zeit vor 1073. Also begnügen wir uns mit 950 Jahren. Das ist ja auch schon eine richtig lange Zeit.

Erlesenes und Gelesenes

Ulrich Urban

Sucht man nach Fotos von Gernot Maria Grohs im Internet, dann landet man schnell bei einem Mann mit Violoncello und Bogen in der Hand. Kein Wunder, ist sein Hauptberuf doch Direktor des Zweckverbandes Musikschule „Johann Nepomuk Hummel“ in Weimar. Aber so ganz nebenbei macht er sich auch einen Namen als Literat und hat dies in Form von sieben Büchern und diversen Lyrikbeiträgen nachgewiesen. Außerdem fährt er gerne Fahrrad. Der Zusammenhang wird gleich deutlich.

Gernot Maria Grohs

Den gebürtigen Leipziger führte im vorigen Jahr eine Radtour auf den Spuren des Dichters und Kämpfers der Befreiungskriege 1813 Theodor Körner auch bis zum Körnerdenkmal im Kitzener Park. Ein zufälliges Zusammentreffen mit dem Kitzener Carsten Iwan vermittelte ihm Kontakt zu Ingrid Riedel, der Vorsitzenden des Fördervereins der Kirche Sankt Nikolai. Im daraus resultierenden Gespräch nahm eine Idee Gestalt an: Grohs kommt zwar nicht mit dem Cello nach Kitzen, aber mit Büchern, wird daraus lesen. Und damit das nicht ohne musikalischen Genuss bleibt, schlug er vor, beim mit ihm befreundeten Leipziger Pianisten Ulrich Urban nachzufragen, ob der nicht in die Tasten greifen könnte. Kein Problem für Urban eben aufgrund der Freundschaft, aber auch, weil seine Frau und Ingrid Riedel einst in Altenburg Schulfreundinnen waren.

Das Ergebnis jener Radtour war nun am 25. September 2022 zu erleben. Während Grohs aus seinem Lyrikband „Wanderers Gedanken“ sowie aus der Novelle „45 Jahre und eine Nacht“ gelesen hat und durchs Programm führte, spielte Urban auf einem Flügel der Eisenberger Firma Wilhelm Steinberg Erlesenes aus dem Notenerbe von Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert. Mit der Leichtigkeit des ersten Satzes aus der Mozartschen Klaviersonate Nr. 10 KV 330 zu Beginn und des letzten Satzes zum Abschluss setzte er sozusagen ein musikalische Kontrastprogramm zur Schwermut des Adagio und des Allegro aus der C-Moll-Sonate von Schubert. Dazwischen gab Urban beim Spiel von zwei Kompositionen aus der Feder von Grohs den Fingerzeig auf das musikalische Können des Mannes, der an diesem Tag eben mal nur am Lesepult stand.

Urbans Spiel hielt, was seine Vita versprochen hat. Denn der Leipziger gehört seit Jahrzehnten zu den gefragtesten Pianisten in Deutschland und hat in Europa und auf anderen Kontinenten einen exzellenten Ruf. Die Besucher am Sonntag dankten es ihm mit begeistertem Applaus. Und dass das gelesene Wort von Grohs ebenso ankam, zeigte sich im abschließenden Kaufinteresse des Publikums an seinen Büchern.

Apropos Grohs: Ingrid Riedel lud ihn ein, vielleicht im nächsten Jahr für ein Konzert sein Cello mit nach Kitzen zu bringen. Zugesagt hat er noch nicht, aber auch nicht abgelehnt. Nun, lassen wir uns einfach mal überraschen.

Schautag am Denkmal

Große Resonanz bekam Ingrid Riedel bei der Führung durch die Kirche.

„Oh, ich habe gedacht, mit einem ordentlichen Anstrich war das Wesentliche geschafft, damit die Kirche wieder schön aussieht.“ Der Besucher am Tag des offenen Denkmals in der Kirche Kitzen musste nach der Führung um und durch das Bauwerk seine Meinung gründlich revidieren. Die Vorsitzende des Fördervereins für das Kulturdenkmal Kirche Sankt Nikolai Kitzen Ingrid Riedel hatte während der öffentlichen Führung am 11. September, dem Tag des offenen Denkmals, vor gut 40 bis 45 Teilnehmern ausführlich über die Historie der Kirche, aber vor allem über die aufwändigen Sanierungsarbeiten während der zurückliegenden zehn Jahre informiert. 1,5 Millionen Euro sind seither in die Restaurierung der Kirche geflossen. Ein großer Teil davon waren Fördermittel, aber der finanzielle Eigenanteil zum Beispiel aus Spenden sowie die immensen Eigenleistungen haben sich mittlerweile auch schon zu mehreren hunderttausend Euro summiert.

Die Ausstellungen stießen auf viel Interesse.

Auch wenn der Besucherstrom an dem Tag verhalten begann, schlussendlich waren doch jede Menge Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch Besucherinnen und Besucher von außerhalb gekommen. Neben der Führung hatten auch die drei Ausstellungen in der Kirche große Anziehungskraft. Das waren einmal die Fotoausstellung über die ehemalige Kitzener Schule, zum anderen der Bildervergleich „Kitzen 1962 – Kitzen 2022“. Ein Video vom Tag des offenen Denkmals in Kitzen gibt es hier.

Interessiert zeigten sich die Gäste ebenso an den Malereien von Karl-Heinz Georgi. Angesichts der Resonanz am Denkmalstag und beeindruckt von der bisherigen Sanierungsleistung sowie der bevorstehenden Erneuerung des Kirchturms entschloss er sich, sechs seiner Bilder zugunsten der Finanzierung der Turmsanierung versteigern zu lassen. Die Auktion wird am 25. September im Anschluss an das für den Tag geplante Konzert stattfinden. Spontan haben sich auch die in Kitzen lebenden und arbeitenden Künstlerin Jiang Bian-Harbort und Sebastian Harbort entschlossen, für die Auktion Holzschnitte aus ihrem Schaffen zur Verfügung zu stellen. Ausführliche Informationen gubt es im Beitrag Kunstauktion für den Turm.

Sebastian Harbort (2.v.l.) und Jiang Bian-Harbort (3.v.r. im Gespräch mit Pegaus Bürgermeister Frank Rösel) zeigten Kunstwerke aus ihrem Schaffen.
Kunsthandwerk in der Pfarrscheune.

Erstmals hatte der Förderverein anlässlich des Denkmaltags auch Anbieter von Kunsthandwerk gewinnen können. Das war eine große Bereicherung für den Tag, auch wenn die Kauflaune der Besucherinnen und Besucher eher verhalten ausfiel. Was man vom Kuchenbuffet nicht sagen konnte. Traditionell fanden die Backwaren aus den Küchen zahlreicher Förderer und Freunde des Vereins reißend Absatz. Vom Publikum mit viel Applaus begleitet wurde ein tänzerischer Gruß für Siegwald Bilesch, der drei Tage zuvor seinen 85. Geburtstag gefeiert hatte und zu den Hauptmatadoren des Fördervereins gehört.

Am Kuchenbuffet.
Ingrid Riedel und Siegwald Bilesch beim Anschnitt der Geburtstagstorte.
Gruppenbild mit den Tänzerinnen der Show-Tanzgruppe.
Bei Kaffee und Kuchen ließ es sich gut plaudern.

Was für eine Stimme!

Jens Theilig im Kitzener Pfarrhof.

Was für ein Abend! Was für eine Stimme! Der Crimmitschauer Jens Theilig begeisterte am Abend des 21. August sein Publikum im Pfarrhof der Kirche Sankt Nikolai Kitzen. Ihn zum Kultursonntag zu engagieren, war ein echter Glücksgriff des Fördervereins. Der Tenor, der in Leipzig eine klassische Gesangsausbildung absolviert hat, zeigte sich in verschiedenen musikalischen Richtungen zu Hause: Klassik, Musical, Rock, Kirchenlieder, Pop-Balladen. Wem dieses Konzert entgangen ist, der hat etwas verpasst.

Theilig, der in seiner Heimatstadt gemeinsam mit seiner Frau Georgia, die ihn begleitete und für den guten Ton sorgte, ein Brautmodengeschäft betreibt und außerdem für ein Wirtschaftsunternehmen tätig ist, zeigte sich im ersten Konzertteil eher von der nachdenklich-besinnlichen Seite. Der Auftakt mit Solveigs Song, der ursprünglich aus der Feder von Edvard Grieg (1843 – 1907) stammt und vor einigen Jahren vom Musikprojekt Schiller adaptiert und eingespielt wurde, ließ erahnen, was das Publikum in den kommenden zwei Stunden stimmlich erwarten sollte. Weiter ging es unter anderem mit „Halleluja“, was zum Beispiel Leonard Cohen zu eindrucksvoll interpretiert hat, mit Peter Gabriels „Book of Love“ sowie selten gespielte Balladen von Udo Jürgens. Mit „My Way“ von Frank Sinatra, allerdings in einer Version von Elvis Presley, ging es in eine kurze Pause.

Teil zwei begann mit zwei Klassikern der DDR-Rockgeschichte. Theilig machte beide zu Höhepunkten seines Vortrags. Zuerst sang er „Als ich fortging“ von der Gruppe Karussell. Neben „Am Fenster“ von City und „Über sieben Brücken“ von Karat vielleicht eins der eindrucksvollsten deutschen Lieder der ausklingenden 1970er und der 1980er Jahre. Wer möchte, kann hier noch einmal hineinhören in ein kleines Musikvideo von dem Abend: Als ich fortging.

Das Publikum geizte nicht mit Beifall.

Wie gut dieser Song ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, wer ihn in den zurückliegenden Jahren alles interpretiert hat: Rosenstolz, Jose Carreras, Sarah Connor, Heinz Rudolf Kunze, Tokio Hotel und viele andere. Karats „Schwanenkönig“ war anschließend ebenso beeindruckend vorgetragen wie „In the Ghetto“ von Elvis Presley oder „Circle of Live“ aus Elton Johns Musical „König der Löwen“. Es folgte neben anderen zwei Lieder aus den Musical „Les Miserables“ und in die inzwischen hereingebrochene Dunkelheit hinein ließ Jens Theilig „Amazing Grace“ erklingen, jenes alte Kirchenlied aus der Feder des während eines Sturms auf dem Atlantik bekehrten Sklavenhändlers John Newton (1725 – 1807), von dem es unzählige Versionen vor allem aus England und Schottland gibt.

Da war es schließlich kein Wunder, dass sich das Publikum mit lautem Beifall und Bravo-Rufen eine Zugabe „erbettelte“ und schließlich mit dem Ohrwurm „Sierra Madre“ in die Nacht und auf den Heimweg entlassen wurde.

Den Ton mischte Georgia Theilig.

Mit der Geige begeistert

Ilia Foiguel. Foto: Karola Modl

Jede Menge Applaus zwischendurch und am Schluss gab es für Ilia Foiguel. Der laue Sommerabend am Sonntag, dem 31. Juli, kühler Wein, Bier und Bratwurst trugen sicher auch noch dazu bei, dass es ein lauschiger musikalischer Abend im Pfarrhof an der Kirche Sankt Nikolai wurde. Ilia Foiguel begeisterte die gut 65 Besucher mit Melodien wie Strangers in the night des legendären Sängers Frank Sinatra oder der Moonlight Serenade des nicht weniger legendären Komponisten und Orchesterchefs Glen Miller. Aber auch Auszüge aus den Ungarischen Tänzen von Johannes Brahms sowie Melodien aus Anatevka (Der Fiedler auf dem Dach) und anderes mehr fanden Anklang beim Publikum.

Das Publikum war angetan vom Geigenspiel. Foto: Karola Modl

Von Petuschki nach Kitzen oder wie

Gut 50 Besucher kam auf die Kulturhausterrasse

Von Moskau nach Kitzen oder von Kitzen nach Petuschki oder wo sind wir oder wohin fahren wir. Manch einem der gut 50 Besucher des Sommertheaters auf der Terrasse des Kitzener Kulturhauses am 23. Juli schwirrte wohl der Kopf. Schließlich war sich selbst der Hauptakteur nicht klar, wo er sich befand. Der Schauspieler Kay Liemann aus Leipzig kam mit dem Ein-Personen-Stück „Die Reise nach Petuschki“ nach Kitzen. Was heißt aber Ein-Personen-Stück. Er hatte Unterstützung, musikalische Begleitung von Philipp Rücker, der Klarinette, Saxophon und Flöte mitgebracht hatte und auch ein schauspielerisches Kabinettstück in der Rolle eines trunken Schaffners ablieferte, der die Strafe für nicht vorhandene Fahrkarten in Gramm Alkohol kassierte.

Kay Liemann alias Wenja Jerofejew

Wenedikt „Wenja“ Jerofejew will vom Kursker Bahnhof in Moskau zu seiner Geliebten ins zwei Zugstunden entfernte Petuschki fahren. Sein Reisegepäck: ein Köfferchen voll Wodka. Im zunehmenden Rausch reflektiert er sein Leben im Sozialismus der Sowjetunion der 1960er Jahre. Ob das nun zwangsläufig in den Alkoholismus führen musste, das sei einmal dahingestellt. Aber weiß man etwas um die Person des Autors, der eben Wenedikt Jerofejew (1938 – 1990) ist, der wegen seines nicht dem Sozialismus angepassten Verhaltens keinen Fuß in der sowjetischen Gesellschaft fassen konnte, ahnt man zumindest, warum Leben, speziell seins, im Alkoholismus enden kann.

Philipp Rücker

So urkomisch Wenjas Monologe im Rausch sind, so traurig sind sie. Die gesanglichen Zwischenstücke heiterten allerdings immer wieder auf. Ob es des zusätzlichen Wodka-Ausschanks bedurft hätte, darf jeder für sich selbst entscheiden.

Im Laufe des Stücks, das eigentlich ein Roman oder nach russischer Interpretation ein Poem ist, wird immer unklarer, wo sich Wenja gerade befindet: in Petuschki, auf einer Unterwegsstation, schon wieder in Moskau. Oder ist gar nicht erst losgefahren vom Kursker Bahnhof. Genauso wenig klar ist am Ende des Stücks, ob er wirklich oder nur in seiner Alkoholfantasie gemeuchelt wird, ob sich lediglich sein Bewusstsein für immer verabschiedet. In Kitzen war er jedenfalls, das haben gut 50 Zeugen gesehen.

Das Publikum wurde mit einbezogen.

Jerofejews Buch erschien übrigens in den 1970er Jahren erstmals in Israel und in einer französischen Ausgabe. In der Sowjetunion wurde es laut Wikipedia erstmals 1988 gedruckt.

Kay Liemann, der aufgrund seines Alters den real existierenden Sozialismus der DDR oder der Sowjetunion nicht erlebt hat, fand den Stoff dennoch faszinierend. „Mein Professor hat mir das Buch geschenkt und ich war sofort begeistert“, sagte er nach der Veranstaltung. Ob es allen Gästen des Abends ebenso ging? Die einen sagen so, die anderen sagen so.

FC Liverpool in Kitzen

Gospel Changes in der Kitzener Kirche.

Halleluja! Der Ausruf des Jubels nach der Fastenzeit, wenn eben wieder gejubelt wird in der Kirche – das gehört ins Repertoire eines Gospel-Chores. Des Jubels wegen, aber weil es vielleicht der älteste Song der Menschheitsgeschichte ist. Das Halleluja wird seit 2000 Jahren gesungen. Der kanadischen Sänger und Songwriter Leonard Cohen (1934 – 2016) hat 1984 eine legendäre Version herausgebracht, für die er in zwei Jahren mehr als 80 Strophen geschrieben haben soll, wie auf der Internetseite evangelisch.de nachzulesen ist. Sechs davon enthält die Songfassung, die in der Regel auf seinen Alben auftaucht. Einige davon, aber auch andere hat der Leipziger Chor Gospel Changes in sein Programm aufgenommen, mit dem er gut anderthalb Stunden lang das Publikum am 22. Mai in der Kitzener Kirche begeisterte. Was als einer der bekanntesten Titel der Worldmusic in die Musikgeschichte eingegangen ist, lässt sich eben auch gut für ein Gospelkonzert adaptieren. Schließlich gibt es seit der Erstveröffentlichung 1984 ohnehin mehr als 100 Coverversionen.

Chorleiter Maik Gosdzinski

Aber nicht allein damit löste Gospel Changes Beifallsstürme aus, die letztlich in Standing Ovations mündeten. Bereits zweimal war der Chor in den vergangen Jahren in Kitzen zu Gast und bewies da schon und erst recht beim dritten Mal seine Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit. Auch wenn der Klangkörper aktuell mit einer etwas kleineren Besetzung auftrat als zum Beispiel 2018 bei seinem davor liegenden Gastspiel in Kitzen, tat das weder der Klangfülle noch der Begeisterung im Publikum Abbruch. „Wir haben einerseits viele Auftritte zu bestreiten, andererseits können es auch nicht immer alle Sängerinnen und Sänger zeitlich einrichten“, begründete Chorleiter Maik Gosdzinski den höchstens optisch ins Auge fallenden Personalengpass.

Therese Galetzka (r.) gehört zur Chorleitung und zu den herausragenden Stimmen im Chor.

War das musikalische Angebot ohnehin fesselnd, so ließ der Chor einige Male zusätzlich aufhorchen. Urplötzlich fühlte sich das Publikum ins Fußballstadion versetzt. „You´ll never walk alone“ singen die Fans des englischen Erstligisten FC Liverpool (mittlerweile auch von andere Fußballklubs) nicht nur bei den Heimspielen des englischen Vizemeisters. „You´ll never walk alone“ (Du wirst nie allein gehen), das aus dem Musical „Carousel“ stammt, ließ Gospel Changes eben auch in einer für einen Gospelchor adaptierten Version erklingen und manch einer im Publikum sang oder summte mit. Anleihe für sein Konzertprogramm nahm der Chor genauso beim US-amerikanischen Rockstar Bruce Springsteen, der den Song „O Mary don´t you weep“ (Oh Mary weine nicht) 2006 berühmt gemacht hat und den zuvor auch schon unter anderen Pete Seeger und Nat King Cole gesungen hatten.

Am Schluss stand das Publikum, erklatschte sich Zugaben, so dass der bezaubernde Nachmittag nicht nach einer guten Stunde wie geplant endete, sondern 100 Minuten dauerte.

Wie lieblich ist der Maien

Der Leipziger Kammerchor in der Kirche Kitzen.

Mit einem Frühlingskonzert unter dem Motto „Wie lieblich ist der Maien“ wartete der renommierte Leipziger Kammerchor am 1. Mai in der Kirche Kitzen auf. Der Feiertag, der dieses Jahr auf einen Sonntag fiel, war auch der Tag, an dem die traditionelle Radpartie des Siedlervereins Kitzen stattfand und es um die Mittagszeit Hochbetrieb im Gasthof Thesau gab, wobei sich die künftigen Betreiber vorstellten. Dennoch war die Kirche zum nachmittäglichen Konzert gut gefüllt. Der Kammerchor erfreute die Besucher mit einem reichhaltigen musikalischen Angebot. Das reichte von Volksliedern wie „Es klappert die Mühle“, bei denen jeder mitsingen konnte, bis hin zu Liedern Robert Schumanns „So sei gegrüßt viel tausendmal“ oder Claudio Monteverdis „Non giacinti o narcisi“ (Keine Hyazinthen oder Narzissen), bei denen verzückt gelauscht wurde. Dazu kamen Frühlingslieder aus Frankreich, Schweden oder den USA. Das Thema des Konzerts kam in Form des mehr als 400 Jahre alten Liedes „Wie lieblich ist der Maien“ von Johann Steuerlein (1546 – 1616), wofür Martin Behm 1604 den Text verfasst hatte, natürlich auch zu Gehör. Für die Konzertbesucher blieb das Fazit, es hat sich wieder gelohnt, das kulturelle Angebot des Fördervereins Sankt Nikolai Kitzen auch an einem Tag mit vielen anderen Veranstaltungen anzunehmen.

Schöne Stimmen erfüllten den Konzertraum.

Ingrid Riedel, die Vorsitzende des Fördervereins, vearbschiedete den Chor mit einem Blumenstrauß an Chorleiter Georg Mogwitz.

Kein Tacet in munterer Runde

Wolfgang Rögner

Tacet – ein Begriff aus der Musik – bedeutet schweigen. Wolfgang Rögner nannte sein Büchlein so, das er vor einigen Jahren in einer, wie er sagt, kleinen selbst genommenen Auszeit geschrieben hat. Geschwiegen wird darin allerdings nicht. Ganz im Gegenteil, der Dirigent verschiedener Klangkörper und aktuelle Intendant des Leipziger Symphonie Orchesters (LSO) erzählt launige, manchmal auch nachdenklich machende Geschichte aus seinem Leben, aus dem Leben eines Kapellmeisters eben.

Eigentlich habe er das Büchlein mehr für sich selbst geschrieben, erzählt er bei einer Lesung im März zum Auftakt des Kulturjahres im Förderverein Kirche St. Nikolai im Kitzener Kulturhaus. Letztlich aber auch dank einer Bekanntschaft mit dem ehemaligen, mittlerweile gestorbenen künstlerischen Leiter der Porzellanmanufaktur Meißen, Christian Schöppler, der das Büchlein illustrierte, fand „Tacet“ den Weg an die Öffentlichkeit. Und das ist erfreulich.

Dem 1951 in Thüringen geborenen Rögner, Mutter Chorsängerin und Vater Musiklehrer, war die Musik nahe und das Musikstudium folgerichtig. Nach Abschluss des von ihm gewählten Dirigentenstudiums führte ihn der Weg durch zahlreiche Theater, Opernhäuser und Konzertsäle, unter anderem einige Jahre nach den Niederlanden, für gelernte DDR-Bürger alles andere als gewöhnlich.

So hat er schließlich einen enormen Fundus an Erinnerungen zu diversen Anekdoten geformt, garnierte sie mit seinen Lieblings-Kochrezepten sowie mit Gedichten, die er mag. Knapp eine Stunde lang las und erzählte er vor einem gut gelaunten Publikum. Am besten amüsierte es sich über die Theatergeschichten. Zum Beispiel über dieser jenes Sängers am Plauener Theater, der während der Aufführung und seines Gesangs an einer Hochzeitstafel von Mitstreitern darauf aufmerksam gemacht wird, dass seine Hose offen ist. Ohne seinen Gesangspart zu unterbrechen, geht er hinter der Tafel ein wenig in die Knie und schließt fürs Publikum verdeckt die Hose. Was der Sänger nicht bemerkt, er hat das Tafeltuch mit eingeklemmt. Mit dem Ende des Liedes schreibt das Drehbuch seinen Abgang von der Bühne vor. Er geht und reißt die Tischdecke mit sich.

Gut gelaunt verfolgte das Publikum im Kitzener Kulturhaus die Lesung.

Wer noch mehr Geschichten kennenlernen will, dem ist das Büchlein zu empfehlen.

Rögner war nicht zum ersten Mal in Kitzen. Zweimal bereits kam er zu Konzerten mit dem LSO in die Kirche und führte jeweils launig durchs Programm. Wenn das Orchester am 19. Juni 2022 zum dritten Mal in Kitzen aufspielt, wird man ihn vermutlich ein weiteres Mal mit begrüßen können.